Leipziger Reiseveranstalter wirbt mit selbst erstellter Nahverkehrsstudie
01.12.2010
Seit gestern wirbt ein Leipziger Reiseveranstalter mit einer Studie zum Thema Nahverkehrsangebot und Touristenfreundlichkeit in deutschen und internationalen Städten. Dass es sich dabei um einen gekonnten Marketing-Gag handelt, fällt jedem aufmerksamen Leser der Studie sofort ins Auge. Schließlich vergleichen die selbsternannten Marktforscher des Reiseveranstalters völlig willkürlich festgelegte Merkmale im Sinne der sprichwörtlichen "Äpfel und Birnen". So bekommen vorbildliche Nahverkehrssysteme wie beispielsweise das in Hamburg in der Studie richtig ihr "Fett" weg. Im Gegensatz zu wissenschaftlichen Umfragen seriöser Marktforschungsinstitute wie TNS-Infratest beim jährlichen Kundenbarometer der Nahverkehrsfahrgäste scheinen die Mitarbeiter des Reiseveranstalters ganz genau zu wissen, was Bus- und Bahnfahrgäste wollen. Zum Schluss darf sich der geneigte Leser das ohnehin schon sehr ausführliche Machwerk für eine Schutzgebühr von preiswerten 2.500 Euro komplett ansehen. Vielleicht soll damit die laufende Fernsehwerbung mit dem ehemaligen Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft refinanziert werden. Die Studie schließt natürlich nicht ohne einen Hinweis auf das beste Online-Reisebüro und wo man bestenfalls gleich buchen kann - da kommt selbstverständlich nur eine Reise in ein Nahverkehrseldorado in Frage.
Die Suche nach dem Haupt-Preis
Bevor die Studie näher auf irgendwelche Themen eingeht, werden erst mal Preise verglichen. Das ist ein sensibles Thema und damit kann medial immer gepunktet werden. Was billig ist, ist gut. Welche Leistung dahintersteckt und welche Strecke man mit einem Fahrschein fahren kann, ist relativ unwichtig. Um beim Thema Hamburg zu bleiben: Für angegebene 1,70 Euro kann im Zentrum gefahren werden, für den eigentlichen Stadtbereich werden 2,75 Euro fällig. Nicht nur in diesem Fall scheint die Internetrecherche mangelhaft. Komplettiert wird die Preisdiskussion durch Steigerungen - auch wieder sehr medienfreundlich aufbereitet. Reiseveranstalter klagen über hohe Kerosinpreise und Flughafengebühren, Verkehrsunternehmen können sich Diesel- und Strompreisen nicht gänzlich entziehen. In einem hat die Studie allerdings Recht: Es bedarf des politischen Willens, Nahverkehr preiswerter zu machen. Um die Verwirrung zu vollenden, wird noch international verglichen und auch das Einkommen der Einwohner ins Verhältnis gesetzt. Seltsam.
Vieles Anhalten macht Nahverkehr attraktiv
Wer sich tapfer durch sechseinhalb Seiten Zahlen und Preise gekämpft hat, wird mit dem Verhältnis Haltestellen pro Kopf belohnt. Das ist mal eine Aussage! Je weniger Fahrgäste sich eine Haltestelle mit anderen teilen müssen, umso besser funktioniert der Nahverkehr. Also wäre ein dichtes Nahverkehrsangebot in einer Stadt ohne Einwohner optimal? Oder umgekehrt, je häufiger angehalten wird, desto attraktiver sind Bus und Bahn? Für Touristen allemal. So kommen sie in den Genuss einer langsamen Stadtrundfahrt. Apropos Touristen?
Fahrgäste verstehen "spanische Dörfer"
Fahrscheinautomaten sollen multilingual beschriftet werden. Welche Fremdsprachen sind dabei unerlässlich? Sollen regionale Unterschiede berücksichtigt werden oder von englisch, französisch, spanisch über tschechisch, polnisch, türkisch und ungarisch alles drauf auf die Ticketmaschine? Und was machen die Touristen aus Japan? Ist weniger mehr, weil die Schrift plötzlich eine lesbare Größe annimmt? Die Antworten darauf bleibt die Studie schuldig.
Wer schon einmal in München U-Bahn fuhr, kann nicht sicher sein, ob die Haltestellendurchsage überhaupt in deutscher Sprache erfolgte. Wer in Leipzig in der Straßenbahn sitzt, wundert sich nicht mehr über augenrollende Fahrgäste, die bis zur nächsten Station nach dem deutschen und englischen "Wilhelm-Leuschner-Platz" auch noch den französischen über sich ergehen lassen müssen. Auch gegen die tschechische und polnische Variante seines Namens wird der bekannte Sozialdemokrat nichts haben - kann er ja nicht mehr! Ist es nicht ausreichend, für Touristen wichtige Ziele oder Bahnhöfe und Flughäfen anzusagen? Verwirren weitere Durchsagen nicht mehr als sie nutzen? Auch mit diesen Fragen bleibt der Leser allein.
Ganz am Rande glänzt die Recherche zusätzlich mit schlecht gemeinten Ratschlägen. Zum Beispiel, dass fremdländische Touristen am Ticketautomaten in der Bahn immer die bei ihnen so beliebte Monatskarte kaufen wollen oder dass eine Fahrt von Flughäfen stets ähnlich viel kosten müsste, egal ob der Landeplatz weit draußen oder genau im Zentrum der Metropole liegt. Insofern haben die Marketingstrategen des Reiseveranstalters mit Ihrer "Expertenstudie" einen tollen Coup gelandet. Zum Glück wurde dieser Spaß sofort durchschaut und der Name des Reiseveranstalters nicht noch kostenlos beworben.