Hybridbus mit 117 zusätzlichen Sensoren verdrahtet
05.11.2014
Ab sofort fährt ein mit 117 neuen Sensoren und zwei großen Messtechnikschränken aufwändig verdrahteter Hybridbus der Dresdner Verkehrsbetriebe durch die sächsische Landeshauptstadt. Damit beginnt die Praxisphase des Projektes „Pilotlinie 64“, ein Bestandteil des Bundesprogramms Schaufenster Elektromobilität. Ziel ist die Senkung des Energieverbrauchs in Hybridbussen. Das soll vor allem durch völlig neue Heizungs- und Klimatisierungstechnik, vorausdenkende Steuersoftware sowie den Einsatz experimenteller Leichtbaukomponenten wie Felgen aus Karbon erreicht werden. So erhöht sich die Reichweite im Elektrobetrieb, was gleichzeitig die Umweltbilanz verbessert.
Gesparte Energie für größere Reichweite
Mit dem Projekt „Pilotlinie 64“ gehen die Vertreter der Technischen Universität Dresden (TUD) und Dresdner Verkehrsbetriebe AG (DVB) neue Wege bei der Entwicklung von Elektromobilität im ÖPNV. Während reine Elektrobusse bislang nur kurze Strecken ohne stationäre Nachladung fahren können, haben Hybridbusse ihre Ladestation in Form des kleinen Dieselmotors praktisch immer mit an Bord. Noch werden die Vorteile der Hybriden durch eine geringe Reichweite im Elektrobetrieb getrübt. Um diese zu erhöhen verfolgen die Wissenschaftler der Institute für Leichtbau und Kunststofftechnik (ILK) und Automobiltechnik (IAD) der TUD sowie ihre DVB-Praxispartner zwei konkrete Ansätze. Zum einen kann die Fahrzeugmasse verringert werden. Das führt gerade beim Anfahren zu weniger Energieeinsatz. Zum anderen soll die im Bus vorhandene Energie besser genutzt werden. Wenn bei den „Energiefressern“ wie Heizung, Lüftung und Klimatisierung Strom eingespart wird, kann der Bus längere Strecken elektrisch fahren. Ohne den Dieselmotor für die Nachladung zu starten. Die Forschungen werden auch von Fahrzeugherstellern mit großer Spannung verfolgt.
Pulsmessung am Mercedes-Hybridbus
Mit insgesamt 117 zusätzlichen Sensoren wurde einer der acht gelben DVB-Linienbusse vom Typ MB-Citaro G Blue-Tec Hybrid nachgerüstet. Praktisch zu jeder Zeit und an jeder Stelle im Bus kann damit den technischen Komponenten der „Puls“ gemessen werden. Etwa drei Viertel aller Sensoren befinden sich in Heckbereich und Motorraum, rund ein Viertel im vorderen Wagenteil. Die Geber erfassen Daten wie Temperaturen, Drücke, Durchflüsse, Ströme, Spannungen und Helligkeiten. Außerdem wird durch GPS-Ortung die jeweilige Position des Busses festgehalten. Das dient dem Abgleich der Werte mit äußeren Einflüssen und der Streckentopografie. Zur Erfassung der Daten stehen zwei Messtechnikschränke zur Verfügung. Ein kleiner auf dem Fahrzeugdach, der größere gut sichtbar im hinteren Fahrgastraum. Die Passagiere müssen sich in dem knapp 18 Meter langen Fahrzeug aber nicht einschränken. Der Wagen fährt ab sofort im Fahrgastbetrieb auf der DVB-Linie 64 zwischen Kaditz und Reick.
Die Luft-Wärme-Pumpe für den Bus
Was Hausbesitzer schon lange kennen, soll im Zuge der Untersuchungen nun auch beim Bus Anwendung finden: Das Prinzip der umweltfreundlichen Luft-Wärme-Pumpe. Neben dem Antrieb verbrauchen Heizung, Lüftung und Kühlung die meiste Energie im Bus. Schon in der Übergangszeit wird im Wagen geheizt, im Winter noch mit einer Heizöl-Zusatzheizung. Viel Potenzial also, um Energie zu sparen. Spätestens im Sommer 2015 erhält der Hybridbus deshalb eine spezielle Klimaanlage, die nach dem Wärmepumpenprinzip arbeitet. So kann im Winter der Außenluft Wärme entzogen werden, die neben der Motorwärme zur Heizung des Fahrgastraums benutzt wird. Eine Zusatzheizung ist dann nur noch bei tiefen Temperaturen nötig. Im Sommer ergibt sich der umgekehrte Effekt zur Innenraumkühlung. Die Wissenschaftler erkennen anhand der gesammelten Sensordaten, was in Hochtemperatur-, Niedertemperatur und Heizkreislauf passiert, wann Energie zur Drucklufterzeugung gebraucht wird und welche Auswirkung die Beleuchtung auf die Energiebilanz hat. Daraus wollen sie ein linienbezogenes Programm schreiben, das die einzelnen Fahrzeugkomponenten abhängig vom Standort und dem folgenden Streckenverlauf vorausdenkend steuert.
Gewichtseinsparung durch Karbonfelgen
Weniger Gewicht heißt beim Hybridbus weniger Energie und damit eine größere Reichweite im elektrischen Betrieb. Außerdem wird weniger Diesel zur Nachladung benötigt. Viel Masse lässt sich an den Rädern einsparen. Immerhin haben Gelenkbusse mit einer normalen und zwei Zwillingsachsen bis zu zehn davon. Da kommt einiges an Gewicht zusammen. Aktuell wird deshalb an einer ultraleichten Bauweise für Nutzfahrzeugfelgen geforscht. Basis sind verschiedene Kohlefasermischungen, also CFK bzw. Karbon. Denkbar ist auch eine Hybridlösung in Kombination mit Aluminium. Schon jetzt wurden sehr vielversprechende Materialtests durchgeführt. Ende Januar 2015 soll der erste Prototyp einer solchen Leichtbaufelge fertig sein. Mit rund 20 Kilogramm Gewicht wiegt er dann nur etwa halb so viel wie eine herkömmlicher Stahlfelge. Bis zum Einsatz an Bus oder LKW muss solch eine Felge aber noch verschiedenen Festigkeits- und Ermüdungsprüfungen unterzogen werden und eine TÜV-Zulassung erhalten. Das Produkt wäre allerdings eine echte Weltpremiere bei Nutzfahrzeugen.
Schaufenster Elektromobilität
Die Bundesregierung hat im April 2012 vier Regionen in Deutschland, darunter die Freistaaten Bayern und Sachsen, als „Schaufenster Elektromobilität“ ausgewiesen.
Ein Schwerpunkt des „Schaufensters Bayern-Sachsen ELEKTROMOBILITÄT VERBINDET“ ist die Weiterentwicklung der Elektromobilität einschließlich Fahrzeugtechnik und Energiesystemen. Das Dresdner Projekt „Pilotlinie 64“ ist eines von insgesamt 40 Vorhaben in den beiden Bundesländern. Koordiniert durch die Sächsische Energieagentur - Saena GmbH wird es mit rund 4,2 Millionen Euro durch den Freistaat Sachsen unterstützt.